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// ALLIANZ FÜR SUBSTANZ versteht sich als Impulsgeberin und Plattform zur Verknüpfung relevanter Themen und Akteur:innen für einen Paradigmenwechsel im Bauwesen, der Bestand als ökosoziale Ressource begreift.

Bestand als ökosoziale Ressource

Österreich wird bei unverändertem Kurs bereits 2025 sein im Pariser Klimaübereinkommen (2015) vertraglich gedeckeltes CO2-Budget aufgebraucht haben. In seinem jüngsten Bericht ruft der Weltklimarat (IPCC) zu einer schnellen, tiefgreifenden und sofortigen Reduktion der menschengemachten Treibhausgasemissionen auf, um die globale Erderwärmung auf +1.5°C bis +2°C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen.[1]

Mit rund 40% der weltweit ausgestoßenen Treibhausgasemissionen[2] trägt der Bausektor in Errichtung und Betrieb eine wesentliche Verantwortung für das Erreichen dieses Ziels. Darüber hinaus ist er für den extensiven Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen verantwortlich.[3] Trotz der alarmierenden Erderhitzung, vermehrten Umweltkatastrophen und prognostizierten Kipppunktszenarien wird weiterhin intakte Substanz mit der in ihr gebundenen grauen Energie vernichtet. Abriss und Neubau sind Symptome einer verschwenderischen und klimaschädlichen Praxis. Bestand ist zu erhalten, zu sanieren und weiterzudenken. Sowohl durch den Erhalt (graue Energie) als auch die klimagerechte Sanierung (Betriebsenergie) werden im Vergleich zu Abriss und Neubau Ressourcen eingespart, die in der Folge für vordringliche Maßnahmen im Zuge der Energiewende einsetzbar sind.

ALLIANZ FÜR SUBSTANZ setzt sich für einen Paradigmenwechsel im Bauwesen, ausgehend vom Erhalt bestehender Substanz, ein. Der Zyklus von Abriss und Neubau muss dafür im gesamten Baubestand ausgesetzt werden. Stattdessen ist auf eine klima- und artenschutzgerechte Architektur und Stadtplanung ohne Ausbeutung der Lebensgrundlagen zu setzen. Die Kultur der Reparatur – das Pflegen, Sanieren, Adaptieren und Transformieren des Bestands – muss ab sofort selbstverständliche Aufgabe einer am Gemeinwohl und an Prinzipien der Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft orientierten Planung werden. Bestand als ökosoziale Ressource aufzufassen leistet einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Netto-Null-Treibhausgasemissionen, die das oberste Ziel eines wirksamen und längst überfälligen Klimaschutzgesetzes[4] sein sollten. Im Erhalt und Weiterentwickeln von bestehender Substanz liegt ein enormes klimatisches und baukulturelles Potential.

Im Klima- und Umweltnotstand hat Österreich als EU-Mitglied die Chance sich auf Europäischer Ebene für die ökosoziale Bauwende einzusetzen und damit eine Vorreiterrolle einzunehmen. Eine Novellierung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Planen und Bauen auf allen Ebenen ist angesichts der Mehrfachkrisen unserer Zeit zwingend erforderlich.

Wie kann das gelingen?

Verbindlicher Substanzschutz

Der Schutz bestehender Substanz vor dem Abriss und die radikale Minimierung von Neubau sind notwendige Maßnahmen zur Reduktion unnötig verursachter Treibhausgasemissionen und ein wichtiger Schritt in Richtung Pariser Klimaübereinkommen. Das verbleibende CO2-Restbudget ist prioritär für eine rasche und damit vor 2040 vorgezogene Energiewende (Klimaneutralität) auf Basis erneuerbarer Energieträger zu nutzen.

Bauen mit Bestand als Selbstverständlichkeit

Normen, Gesetze und Rahmenbedingungen sind dahingehend sinnvoll anzupassen, damit Erhalt, Weiterbauen, Umnutzen und Sanieren von Bestand erleichtert und Abriss sowie Neubau drastisch reduziert werden. Das Nutzen der Potentiale des Bestands leistet, sorgfältig geplant, einen wertvollen Beitrag zur Baukultur.

Besteuerung der Treibhausgasemissionen

Die verbindliche Berechnung der Treibhausgasemissionen unter Einbeziehung der grauen Energie bei Abriss und Errichtung ist die Grundlage für die Herstellung von Kostenwahrheit im Bausektor. Eine darauf basierende zweckgebundene Besteuerung ermöglicht eine generationen- und kontinentübergreifende Gerechtigkeit.

Förderung von Pflege und Reparatur

Finanzielle Anreize sorgen für den Erhalt und die Verlängerung der Lebensdauer von Gebäuden und führen zur dringend benötigten Erhöhung der Sanierungsrate. Abrissfördernde Steuerbegünstigungen und Regelungen müssen abgeschafft werden. Förderungen für Ersatzneubauten sollten vermieden werden.

Aktivierung von Leerstand

Hohe Leerstandsquoten bedeuten, dass das Potential des Bestands nicht genutzt und vielfach am Bedarf vorbei neu gebaut wird. Dringend benötigter Wohnraum wird zu oft als reines Anlageobjekt genutzt. Durch Maßnahmen wie Leerstandserhebung und -abgabe wird un- bzw. untergenutzter Raum mobilisiert. Die mit dem Neubau verbundenen Folgeschäden werden damit eingedämmt.

Öffentliche Hand als Vorbild

Öffentliche Bauvorhaben müssen Abstand nehmen von Abriss-Neubau. Pilotprojekte im Sanieren, Weiterbauen und Umnutzen sind zu realisieren und der Erhaltung sowie Transformation von Bestand ist bei Planungswettbewerben Vorrang zu geben.

Transparente Planung

Öffentliche und geförderte Planungsvorhaben brauchen Transparenz. Gutachten und behördliche Prüfungen müssen unabhängig durchgeführt und ökologische sowie soziale Auswirkungen offengelegt werden.

Investitionen in Ausbildung und Sensibilisierung

Die Umbau- und Reparaturkultur führt zur Aufwertung der Lehrberufe und des Handwerks. Neben der Förderung der lokalen Wirtschaft steckt darin die Chance, Arbeitsplätze in die Regionen zu bringen.

Ohne sofortige und radikale Reduktion der klimaschädlichen Treibhausgase ist ein Eindämmen der globalen Erderhitzung auf maximal +1.5°C nicht zu erreichen. Im Erhalt und Weiterbauen des Gebäudebestands liegt großes Potential zur Treibhausgasreduktion und Ressourcenschonung sowie für kreative, nachhaltige Lösungen in der Planung und innovativen, regionalen Wertschöpfung.

ALLIANZ FÜR SUBSTANZ lädt Institutionen, Bewegungen und Personen aus allen Disziplinen ein, sich gemeinsam für diese Forderungen einzusetzen und diese in den eigenen Aufgaben- und Lebensbereichen umzusetzen.

 

Fachschaft Architektur TU Wien

“Wir sehen die Etablierung einer bestandsorientierten und zirkulären Baukultur als essentiellen Schritt inmitten der Klimakrise. Die beinahe ungestörte Flächenversiegelung sowie der militante Abriss-Boom in der Stadt wie am Land muss im Sinne einer nachhaltigen Gestaltung unserer Lebensräume durch die Politik gesetzlich verhindert werden. Die politische Ohnmacht zeigt sich besonders auch in der jüngsten Novellierung der Wiener Bauordnung. Diese ordnet den Erhalt von Bestandsbauten immer noch der wirtschaftlichen Zumutbarkeit unter und ist somit bezeichnend für einen viel zu milden Schutz unserer Bausubstanz.”

Architects4Future Austria

“Müssen wir heutzutage noch neu bauen? In Zeiten hoher Leerstandsquoten und der dringenden Notwendigkeit, den Klimawandel zu bekämpfen, stellt sich die Frage, ob Neubauten wirklich noch zeitgemäß sind. Insbesondere in großen Städten bietet der Umbau bestehender Gebäude eine vielversprechende Alternative zum Abriss und Neubau. Bei einem bestehenden Gebäude ist zu berücksichtigen, dass bereits viel Energie für die Errichtung aufgewendet wurde. Damit dieser Energieeinsatz nicht umsonst war, ist es sinnvoll, den Bestand zu nutzen und aus umwelttechnischen Gründen von einem Abriss und Neubau abzusehen. Umbauten reduzieren die graue Energie, die zur Herstellung neuer Baumaterialien benötigt wird und tragen somit zur Einsparung von Energie und Treibhausgasemissionen bei.”

Bauarchiv Kärnten

“Trotz vieler Bemühungen, die eine richtige Richtung eingeschlagen haben, gibt es gleichzeitig eine immer noch stärkere Gegenbewegung, die beispielsweise Kulturlandschaft unwiederbringlich verbraucht – man könnte auch sagen „opfert“ – und letztlich zerstört. Das Bauarchiv Kärnten unterstützt ganz klar die Anliegen von ALLIANZ FÜR SUBSTANZ, zu sehen auch als eine Weiterschreibung der geschichtlich gewachsenen Qualitäten von Bestandsituationen, die unseren Lebensraum ausmachen! Das gilt natürlich nicht nur für die Substanz an Gebautem, sondern auch für bewusst freigehaltene Zonen, Höfe, Gärten, umgebende Landschaftszonen, Durchblicke in räumliche Tiefe u.v.m. All dies ergibt in Summe erst die Gesamtheit der unterschiedlich ausgeprägten Kulturlandschaften.”

Seniors for Future Austria

“Als SeniorsFF treten wir dafür ein, die wahnwitzige Bodenzerstörung in Österreich umgehend zu stoppen und unsere noch vorhandenen fruchtbaren Böden ab sofort unter unbedingten Schutz zu stellen. Wir brauchen ein generelles Umdenken in Stadt und Land, das die vorhandene Bausubstanz weitestgehend erhält, wärmeisoliert und klug nutzt, sowie bereits versiegelte Flächen auch in größeren Bauhöhen nutzbar macht. Wir fordern die Regierung auf, rasch diesbezügliche gesetzliche Regelungen zu beschließen.”

Bauten in Not

“Die Aktionsgruppe Bauten in Not wurde 2017 zum ersten „Tag des schutzlosen Denkmals“ gegründet und engagiert sich nicht nur für die respektvolle Behandlung architektonischer Meisterwerke, sondern auch den verantwortlichen Umgang mit dem gesamten baulichen Bestand, einer wertvollen Ressource und Alternative zum hochemitierenden Neubau inmitten der eskalierenden Klimakrise. Alter Baubestand speichert nicht nur graue Energie, er speichert auch Geschichte. In ihm manifestieren sich baukulturelles Wissen, handwerkliche Praxis und menschliche Erfahrung.”

Parents For Future Österreich

“Die ungebremste Bodenversiegelung in Österreich verschärft die Biodiversitätskrise, gefährdet unsere Ernährungssicherheit, macht Extremwetter gefährlicher, impliziert massive CO2-Emissionen und erhöht die Oberflächentemperatur. Viel zu oft wird ohne tatsächlichen Bedarf gebaut, werden neue Flächen versiegelt, anstatt Leerstand oder bereits versiegelte Flächen zu nutzen. Wir Parents For Future Austria fordern daher ein sofortiges österreichweites Moratorium und eine Neubewertung aller anstehenden Bauprojekte. Der weitestmögliche Erhalt bzw. die ressourcenschonende Umnutzung von Bestand müssen Teil dieses längst überfälligen Umdenkens sein.”

ARGE Substanzaktivierung

“Wenn es an die Substanz geht: Die interdisziplinäre ‘ARGE Substanzaktivierung – Weiterbauen statt abreißen! – CO2neutrale Niedertemperatur statt Ressourcenverschwendung!’ fordert, prioritär unsere bereits gebaute Umwelt räumlich und thermisch mit ihrem Potenzial als Speichermasse weiterzuentwickeln.”

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// ALLIANZ FÜR SUBSTANZ versteht sich als Impulsgeberin und Plattform zur Verknüpfung relevanter Themen und Akteur:innen für einen Paradigmenwechsel im Bauwesen, der Bestand als ökosoziale Ressource begreift.

// Erstunterstützer:innen

Architects4Future Austria
Architekturerbe Österreich
aut. Architektur und Tirol
Az W – Architekturzentrum Wien
Bauarchiv Kärnten
Bauten in Not
DOCOMOMO Austria
Grandparents For Future Austria
HDA Haus der Architektur Graz
IG Architektur
ÖGFA Österreichische Gesellschaft für Architektur
ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
Parents For Future Österreich
Plattform Baukulturpolitik
RENOWAVE.AT eG
Scientists4Future Österreich
Seniors for Future Austria
Workers For Future Austria
vai Vorarlberger Architektur Institut

// Verfasst von
Christian Eibel, Martin Hess, Norbert Mayr, Maik Novotny, Jürgen Radatz, Carina Sacher, Lukas Vejnik

// Allianz für Substanz knüpft an Forderungen von Initiativen in den Nachbarländern wie das Abrissmoratorium Deutschland, countdown2030 oder architects4future Deutschland an.

 

 

// Verfasst von
Christian Eibel, Martin Hess, Norbert Mayr, Maik Novotny, Jürgen Radatz, Carina Sacher, Lukas Vejnik

// ALLIANZ FÜR SUBSTANZ knüpft an Forderungen von Initiativen in den Nachbarländern wie das Abrissmoratorium Deutschland, countdown2030 oder architects4future Deutschland an.

 

// Glossar

Das Pariser Klimaübereinkommen ↑ regelt in einem völkerrechtlichen Vertrag das +2°C-Ziel, das durch zusätzliche Anstrengungen auf +1.5°C beschränkt werden soll. Die EU einigte sich auf die CO2-Reduktion um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 bis 2030 und das Erreichen der Klimaneutralität 2050.

Das verbleibende CO2-Budget berechnet sich aus der Menge an CO2, die noch in die Atmosphäre abgegeben werden kann, um die globale Erwärmung auf maximal +1.5°C beziehungsweise +2°C zu begrenzen. Zur Einhaltung von +1.5°C liegt die CO2-Obergrenze für Österreich ab 2022 laut CCCA-Communitybericht bei 280 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Bei gleichbleibenden THG-Emissionen ist dieses bereits Mitte 2025 aufgebraucht. Klimawirksame Gase sind Kohlendioxid (CO2), das beim Verbrauch fossiler Brennstoffe entsteht, Methan (CH4), Lachgas (N20) und fluorierte Gase (F-Gase). Diese werden zur Berechnung der Treibhausgasemissionen in CO2-Äquivalent umgerechnet. Kohlendioxid bleibt 100.000 Jahre in der Atmosphäre.

Quelle: CCCA.at

Laut Daten von Copernicus, dem EU-Erdbeobachtungsprogramm, beträgt die Erderwärmung der Lufttemperatur in Österreich 2,7°C und in Europa 2,2°C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter; berechnet am Mittel der letzten fünf Jahre zum Mittel zwischen 1850 und 1900. Im Gegensatz dazu stieg die globale Temperatur um 1,15°C.

Quelle: Umweltbundesamt

Als in einem Gebäude gebündelte graue Energie wird die Gesamtmenge der für Bau, Herstellung und Transport aufgewendeten Energie bezeichnet.

Vor mehr als zwei Jahren ist das österreichische Klimaschutzgesetz (KSG) ausgelaufen. Damit fehlen aktuell gesetzlich verankerte THG-Reduktionsziele, die Festlegung der jährlichen THG-Emissionshöchstmengen und deren Aufteilung auf die einzelnen Sektoren.

Im November 2019 hat das Europäische Parlament den Klima- und Umweltnotstand ausgerufen und die Kommission aufgefordert dafür zu sorgen, dass alle relevanten Gesetzes- und Haushaltsvorschläge vollständig mit dem Ziel übereinstimmen, die Erderwärmung auf unter 1,5°C zu begrenzen, ein Ziel, das seitdem bereits verspielt wurde.

Quelle: Pressemitteilung des Europäischen Parlaments vom 29.11.2019. 

Baukultur ist ein Sammelbegriff, der das Wirken menschlicher Leistungen an der gebauten Umwelt bezeichnet. Darüber hinaus steht er für qualitative räumliche Prozesse, Maßnahmen und Ergebnisse im Zusammenwirken von Architektur, Raumplanung, Landschaftsarchitektur und Verkehrsplanung zur Steigerung der Lebensqualität.

Als Ersatzneubau werden Neubauten bezeichnet, die nach Abriss der bestehenden Struktur mit derselben Funktion errichtet werden. In Österreich wird neben dem Begriff Ersatz(neu)bau auch der Begriff des Reconstructing zur Beschreibung eines invertierten Neubau-Abriss-Projekts verwendet.

[1] IPCC: AR6 Synthesis Report. https://www.ipcc.ch/report/ar6/syr/resources/spm-headline-statements/

[2] UNEP: 2022 Global Status Report for Buildings and Construction. https://globalabc.org/our-work/tracking-progress-global-status-report

[3] Laut Werner Sobek ist das Bauwesen (Gebäude und Infrastrukturen) für „rund 60% des weltweiten Ressourcenverbrauches, für rund 50% des weltweiten Abfallaufkommens, […] für mehr als 35% des weltweiten Energieverbrauches“ verantwortlich und produziert mehr als die Hälfte der weltweiten Emissionen von klimaschädlichen Gasen, wovon 22% auf Errichtung und Rückbau entfallen. Werner Sobek. 2022. non nobis – über das Bauen in der Zukunft. Band 1: Ausgehen muss man von dem, was ist. Stuttgart. S. 18.

[4] Petition für den überfälligen Klimaplan Österreichs: https://mein.aufstehn.at/petitions/wo-ist-der-klimaplan-der-regierung-wo-ist-das-klimaschutzgesetz